Tierarzt Hattemer
Das Tierarzneimittelgesetz - Balance zwischen Theorie und Praxis
B: „Ich möchte gerne eine Wurmkur für meine Freigänger Katze“
TFA: „Gerne. Waren Sie denn schonmal mit der Katze in unserer Praxis?“
B: „Nein, noch nie. Er ist ein Freigänger und selten zuhause. Ich habe nicht die Möglichkeit, die Katze vorbeizubringen!“
TFA: „Leider darf ich Ihnen dann keine Wurmkur mitgeben. Wir müssen das Tier regelmäßig untersucht haben. Das ist Gesetz.“
B: „Was für ein Blödsinn! Dann besorg‘ ich mir die Wurmkur woanders“
So oder so ähnlich laufen sehr viele Gespräche an unserer Anmeldung ab. Meistens marschieren die verärgerten Besitzer einfach raus, ohne dass wir die Chance bekommen, uns genauer zu erklären.
Sowohl für den Tierbesitzer, der lobenswerter Weise dafür sorgen möchte, dass seine jagende Katze keine Parasiten bekommt, als auch für das Praxispersonal, welches sich an die vorgeschriebenen Gesetze halten muss, ist solch ein Gespräch immer mit viel Frust und Enttäuschung verbunden.
Warum, weshalb, wieso, das werde ich gleich genauer erläutern.
B: „Mein Hund ist verstorben. Ich habe noch diese Tabletten von ihm übrig. Sie sind noch komplett original verpackt. Habe sie ja erst kürzlich bei Ihnen gekauft. Ich möchte die gerne zurückgeben“
TFA: „Leider darf ich abgegebene Medikamente nicht mehr zurücknehmen. Das ist Gesetz.“
B: „Das ist doch bekloppt! Ich habe die Medikamente doch gar nicht geöffnet. Kann man doch nochmal einem Tier geben, dessen Besitzer wenig Geld hat“
TFA: „Auch das dürfen wir leider nicht.“
Was genau ist nun dieses „Gesetz“ von dem das tiermedizinische Fachpersonal so gerne spricht und den Tierbesitzern die Versorgung ihrer Tiere vermeintlich erschwert?
Das Tierarzneimittelgesetz (TAMG) auf einen Blick: (einige Punkte erklären sich von selbst, auf manche gehe ich genauer ein)
I. Verschreibungspflichtige Medikamente dürfen vom Tierarzt nur für die von ihm in Behandlung befindlichen Tiere abgegeben werden und nur für den aktuellen Behandlungsfall und nicht auf Vorrat. Auch die Anwendungsdauer für den jeweiligen Behandlungsfall muss eingehalten werden.
- Heißt also: Wir dürfen KEINE Medikamente für ein Tier mitgeben, welches wir noch nie oder viel zu lange - bei uns heißt das über ein Jahr - nicht gesehen haben!
Dies gilt absolut und ohne Ausnahme. Weiter heißt dies auch, dass wir keinem Tier, dass mal eine Ohrenentzündung etc. hatte, einfach ohne Weiteres wieder entsprechende Medikamente verschreiben dürfen. JEDE Erkrankung, auch wenn ähnliche Symptome bereits bekannt sind, muss vom Tierarzt untersucht werden.
Die anderen Punkte erklären sich demnach von selbst.
Wir stehen also als tiermedizinisches Fachpersonal vor einer ethischen Zwickmühle.
Es ist definitiv sinnvoll, Tieren, die man nie oder sehr selten vorstellig hatte, keine verschreibungspflichtigen Medikamente abzugeben. Zu eben diesen Medikamenten zählen auch Wurmkuren, Zeckenpräparate uvm.
Gleichzeitig liegt uns natürlich das Wohlergehen der Tiere am Herzen und wir möchten auf keinen Fall, dass Katzen hochgradig verwurmt oder voller Flöhe herumlaufen. Denn auch Parasiten können erheblichen Schaden im Organismus anrichten.
Laut Gesetz müsste für die einfache Abgabe einer Wurmkur folgende Behandlungsreihenfolge ablaufen:
1. Vorstellung des Tieres beim Tierarzt
2. Kotuntersuchung (am besten Mittels 3-Tages-Sammelkotprobe – schon allein dies
gestaltet sich bei Freigängerkatzen unglaublich schwierig) und genaue Identifizierung
der Parasiten (Rundwurm/Bandwurm)
3. Behandlung gegen exakt diesen Parasiten mit einem entsprechenden Präparat
4. Behandlungskontrolle nach X Tagen (erneute Kotuntersuchung, ebenfalls am besten
als 3-Tages-Sammelkotprobe)
Dieser Behandlungsablauf ist nicht nur sehr aufwendig für alle Beteiligten, sondern natürlich auch entsprechend kostenintensiv für Sie als Besitzer.
Es ist für uns als tiermedizinisches Fachpersonal also eine absolute Grauzone, wenn wir Wurmkuren/Zeckenpräparate als sogenannte „Kombipräparate“ gegen mehrere Parasiten abgeben und ohne das Tier speziell für diese Behandlung vorher nochmal zu untersuchen.
Uns ist aber bewusst, dass diese Vorgehensweise, wie es das Gesetz vorsieht, in der alltäglichen Praxis so nicht umsetzbar wäre. Uns liegt das Tierwohl am Herzen und wir sind froh um jede Katze, die glücklich ihre Mäuse jagen kann, ohne anschließend aufgrund eines hochgradigen Wurmbefalls mit schlimmen klinischen Symptomen bei uns behandelt zu werden.
Um das Gesetz eben dennoch so gut wie möglich umzusetzen, möchten wir die Tiere wenigstens einmal im Jahr (am besten zur jährlich anstehenden Impfung) ordentlich untersuchen.
Dies gilt jedoch nur für die Parasitenprophylaxe und regelmäßig benötige Medikamente (zB Schilddrüsenmedikation, Schmerzmittel…)
Eine zweimal im Jahr wiederkehrende Ohrentzündung oder der saisonal auftretende Juckreiz sind ohne Ausnahme IMMER von einem Tierarzt abzuklären und entsprechend zu behandeln. Hier werden wir keine Medikamente ohne Rücksprache herausgeben.
II. Ausgestellte Rezepte für Tiere dürfen nur in normalen Apotheken eingelöst werden. Tierärzte dürfen kein Rezept eines anderen Tierarztes einlösen.
III. Manche Medikamente, vor allem bestimmte Antibiotika dürfen nach der Neuerung des Gesetzes im Februar 2022 nicht mehr bei Haustieren verwendet werden.
IV. Manche Antibiotika dürfen nur nach vorheriger Untersuchung im Labor (Antibiogramm und Keimbestimmung) angewendet werden.
è Dies gilt übrigens besonders für Antibiotika mit Depotwirkung, welche gerne für Katzen verwendet wurden, bei denen eine orale Medikamentengabe unmöglich ist.
V. Verschreibungspflichtige Medikamente dürfen nur noch direkt an den Tierhalter ausgehändigt werden. Ein postalischer Versand ist verboten.
VI. Medikamente, die die tierärztliche Hausapotheke einmal verlassen haben, dürfen nur zur Vernichtung entgegengenommen werden. Sie dürfen nicht erstattet werden.
Der Tierhalter selbst darf übrige oder abgelaufene Medikamente im Hausmüll entsorgen, wenn dieser in die Müllverbrennung geht.
- Alle Medikamente haben entweder direkt auf der äußeren Verpackung, mindestens aber im Beipackzettel einen Hinweis darauf, wie diese zu lagern sind. In der Praxis können wir die entsprechenden Anforderungen kontrollieren und nachweisen. Hat ein Medikament die Praxis aber einmal verlassen, so ist dies nicht mehr gegeben. Wurde die maximal zulässige Temperatur zur Lagerung überschritten? War das Medikament wirklich lichtgeschützt aufbewahrt?
Diese Faktoren können die Wirksamkeit der Präparate beeinflussen und somit, falls man sie einem anderen Tier verabreicht, zu Behandlungsproblemen führen. Es ist also vollkommen richtig, dass solche Medikamente unter keinen Umständen zurückgenommen und im schlimmsten Fall an andere Tiere weitergegeben werden dürfen.
Überlegen Sie sich bei ihrem 16 Jahre alten Labrador also sehr gut, ob Sie wirklich nochmal eine Großpackung der Herzmedikamente kaufen möchten oder ob auch eine kleinere Packung ausreicht.
Ein Verstoß gegen diese Verordnungen kann für die verantwortlichen Tierärzte strafrechtliche Folgen haben.
Man sieht also: Wir als tiermedizinisches Fachpersonal haben es nicht immer einfach eine Balance zwischen dem geltenden Gesetz und dem, was umsetzbar ist, zu finden.
Zeigen Sie Verantwortungsbewusstsein und stellen Ihr Tier einfach regelmäßig einem Tierarzt vor und seien Sie nicht verärgert, wenn Ihnen die Kolleg:innen am Empfang bestimmte Medikamente nicht herausgeben. Wir alle geben unser Bestes für die bestmögliche Versorgung unserer tierischen Begleiter.
-L. Christ, Tiermedizinische Fachangestellte